Von Mayapán aus fuhren wir zu der Hacienda Sotuta de Peón, um uns die alte mexikanische Tradition der Sisalherstellung anzuschauen. Diese erlebte Ende des 19. Jahrhunderts ihre Blütezeit und wurde von der nordwestlich von Mérida gelegenen Hafenstadt Sisal, benannt nach ihrer wertvollsten Fracht, in alle Welt exportiert. Da der Sisalexport damals viel Geld einbrachte und die Region um Mérida herum zu großem Wohlstand verhalf, nannte man Sisal auch das grüne Gold Yucatáns.

Bei der Hacienda (= Farm) angekommen, konnten wir uns einer Gruppentour mit ca. 10 Leuten anschließen. Da die Führung draußen über das weitläufige Gelände ging, war es auch in der aktuellen Pandemie kein Problem genügend Abstand zu halten. Das Gelände ist wunderschön angelegt, in verschiedene Bereiche wie Felder, Gärten, (herrschaftliche) Wohngebäude und Produktionsstätten eingeteilt und mit Gleisen, antiken Waggons und altem Baumbestand versehen, der bei den fast durchgängig heißen Temperaturen willkommenen Schatten spendet.

Zunächst ging es in den haciendaeigenen Garten, in dem allerlei, auch typisch regionales, Gemüse angepflanzt wird. Hierbei werden zum Schutz vor Tieren so oft wie möglich Hochbeete verwendet, die allerdings etwas anders aussahen als die typischen in Deutschland. Während unser Guide uns fachmännisch die Früchte und Kräuter erklärte, bekamen wir das leckere yukatekische Zitronengetränk limón con chaya gereicht. Chaya (= auf deutsch Baumspinat) ist ein typisches Wolfsmilchgewächs aus Zentralamerika, welches gerne roh mit zuckrigem Zitronenwasser vermischt und mit Eiswürfeln als Erfrischungsgetränk serviert wird.

Von den restlichen Pflanzenerklärungen fand ich die mir bis dahin unbekannte Frucht achiote (= auf deutsch Annatto) des Annattostrauchs sehr interessant. Die rötlichen Samen wurden bereits von den Mayas sowohl zum Färben von Textilien und Würzen ihrer Speisen als auch als Währungsmittel eingesetzt. In Europa ist die Frucht eher unbekannt, obwohl auch heutzutage solch bekannte Käsesorten wie Cheddar, Reblochon oder Fol Epi mit Annatto gefärbt werden.

Danach ging es weiter zum herrschaftlichen Wohnsitz der ehemaligen Haciendabesitzer. Dieser wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut und nach seinem Besitzer de Peón genannt. Sotuta ist mayathan und bedeutet „Wasser, welches zirkuliert“ und spielt auf die sich auf dem Gelände befindliche Cenote an. In den letzten Jahrzehnten wurde die Hacienda aufwändig und so originalgetreu wie möglich restauriert. Der Keller, der sich unter der Villa befindet, wurde früher zum Lagern von Lebensmitteln, vorrangig von Mais, verwendet und in den Wohnräumen findet man den kolonialen Stil der damaligen Zeit wieder.

Heutzutage findet die Ernte und Herstellung des Sisals nur noch für Touristen statt, doch vor 150 Jahren lebten dort Hunderte von Arbeitern. Diese wohnten in kleinen Arbeiterhütten direkt auf der Hacienda, wurden mit haciendaeigenem Geld bezahlt, was sie auch nur in den kleinen Geschäften, die es auf der Farm gab, ausgeben konnten. Für die Besitzer war das natürlich ein super Geschäft, denn so blieb das Geld quasi immer bei ihnen.
Doch wie wird nun Sisal hergestellt und was ist Sisal überhaupt? Sisal ist eine Naturfaser, die vor allem zur Herstellung von Schiffstauen, Netzen und Hängematten verwendet wurde. Seit diese jedoch aus synthetischen Fasern produziert werden können, ist die Nachfrage nach Sisal stark gesunken, nicht zuletzt, weil Sisal zwar hervorragende Fasereigenschaften hat und langlebig ist, aber ziemlich rau und pieksig in der Hand liegt. Heutzutage ist Sisal vor allem im Beautybereich in Form von Schwämmen, (Seifen-)Säckchen, Ketten usw. beliebt, aber wird auch für Teppiche und die Füllung von Matratzen verwendet.

Links: Säckchen, Rechts: Matte
Die Herstellung von Sisal ist, wie so oft in der Landwirtschaft, schwere körperliche Arbeit. Wie auch bei der Tequilaproduktion wird Sisal aus Agaven gewonnen, die in Mexiko zahlreich vorhanden sind. Allerdings wird für die Produktion von Tequila die blaue Agave und für Sisal vorrangig die grüne Agave (agave verde oder agave sisalana) verwendet.
Die Sisal-Agave muss zunächst 7 Jahre wachsen und kann dann ca. alle 6 Monate für 25 Jahre geerntet werden. Hierbei werden immer nur die äußeren Blätter verwendet, um die Pflanze nicht zu sehr zu schädigen. Die geernteten Blätter werden in eine Maschine gegeben, die diese aufbricht, um an die Fasern zu gelangen. Die noch grünen Fasern werden ausgewaschen, um das enthaltene Chlorophyl so gut wie möglich zu entfernen. Die nun hellgrünen, nassen Fasern müssen über großen Wäscheleinen zunächst für ca. 6-8 h getrocknet werden, um sie im Anschluss kämmen zu können. Hierbei sollen verbliebende Pflanzenreste entfernt und die Fasern geordnet werden. Die kurzen Fasern werden für kleine Produkte, wie z.B. Säckchen oder Portemonnaies verwendet, während die langen zu großen Ballen, sogenannten pacas, gepresst werden. Ein paca besteht aus ca. 1000 Blättern und ist 270 kg schwer.

Mitte: Agave verde
Oben links: Agavenblätter auf Förderband
Oben rechts: Agavenblätter werden maschinell zerkleinert
Unten rechts: extrahierte Fasern aus zerkleinerten Blättern
Unten links: gepresste Fasern
Früher mussten viele dieser Arbeitsschritte mehr oder weniger manuell getätigt werden. So gab es zum Beispiel eine Art große Harke, gegen die die Arbeiter immer und immer wieder ein Bündel mit getrockneten Fasern schlagen mussten, um diese zu kämmen. Aufgrund der widerspenstigen und stabilen Fasern war das Schwerstarbeit.

Links: Fasern nach dem Trocknen und vor dem Kämmen
Mitte: kämmen an der „Harken“anlage
Rechts: gekämmte Fasern
Danach wurden die Fasern mithilfe einer Maschine verzwirbelt, bei der mehrere Arbeiter zusammen arbeiten mussten. Die Funktionsweise ist ähnlich die einem Spinnrad. Je nachdem wie dick das Seil werden sollte und dementsprechend wie viele Stränge immer und immer wieder miteinander verzwirbelt werden mussten, dauerte es bis zu einer Stunde bis ein Seil gefertigt war.

Unten links: Durch manuelles Drehen werden die Fasern verdrillt.
Oben: Zwei verdrillte „Fäden“ werden miteinander verzwirbelt.
Unten rechts: Mögliche Seildicken mit bis zu 15 „Fäden“
Unten Mitte: Seil mit 2 „Fäden“
Im Zuge der Industrialisierung hielt auch auf den Haciendas die Mechanisierung ihren Einzug, wodurch die Produktionsmenge von Sisal erheblich anstieg. Die Maschinen, sogenannte hiladoras, kämmten und verzwirbelten völlig automatisch die Fasern, die schlussendlich als große Sisalrollen, ähnlich wie Wollknäuel, gelagert werden konnten.

Mitte: Grobes Kämmen der Fasern
Rechts: Endprodukt der Kämmmaschine

Oben rechts: Nahaufnahme erste Verdrillung von Fasern.
Unten rechts: Gesamtansicht Verdrillung in verschiedenen Stärken
Unten links: Verdrillung von zwei „Fäden“
Mitte: Endprodukt Sisalrolle
Nach dieser Tour folgte noch eine Besichtigung der Agavenfelder und der sich auf dem Gelände befindlichen Cenote, doch da wir langsam mit unserem Mundschutz in der schwülen Mittagshitze an unsere Grenzen kamen und die Kinder jammerig wurden, verzichteten wir darauf und fuhren wieder zurück nach Mérida.
Fazit: Alles in allem einer der interessantesten Ausflüge während unserer Yucatán-Rundreise, den ich Jedem nur empfehlen kann. Vor der Besichtigung wusste ich gar nichts über Sisal – ok, immerhin kannte ich das Wort und wusste, dass es eine Naturfaser ist -, doch die ca. 1,5 stündige Tour gab mir einen sehr guten Einblick sowohl in die damaligen Arbeits- und Lebensbedingungen als auch in die Sisalherstellung im Allgemeinen.
Unsere Yucatán-Rundreise im Überblick.
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