Beim Arzt in den USA

Oder: Hilfe! Meine erste OP! Neulich schrieb ich noch locker-flockig, dass ich mir beim Treppe runtersegeln den großen Zeh gebrochen hätte und nun einfach ein bisschen mehr rumliegen müsse. Hätte ich gewusst, was das für einen Rattenschwanz an neuen Erfahrungen und wochenlanger Schonung mit sich bringt, dann…. Tja, was dann? Wäre ich nicht die Treppe runtergefallen? Wäre ich nicht zum Arzt gegangen? Keine Ahnung. Immerhin komme ich so zu neuen Bloginhalten. Positiv denken und so 😃.

Eigentlich fing alles damit an, dass ich mich über unseren 14-jährigen Teenager und seinen (natürlich nur in meinen und nicht in seinen Augen) übermäßigen Computerkonsum ärgerte. Ein leidiges Thema, das heutzutage wohl die meisten Teenie-Eltern kennen. Als Konsequenz klemmte ich mir kurzerhand seinen Laptop unter den Arm und ging die Treppe hinunter. Sei es nun, weil ich mit den Gedanken noch bei unserer Auseinandersetzung war, ich nicht richtig auf die Stufen achtete oder einfach nur so stolperte – ich rutschte mehrere Stufen hinunter und fand einfach keinen Halt am Treppengeländer, obwohl meine Hand die ganze Zeit auf selbigem lag. Zumindest versuchte ich mich mit der rechten Hand festzuhalten, denn meine linke Hand umklammerte instinktiv den Laptop. Da soll noch mal einer sagen, man solle auf seinen Instinkt vertrauen. Lieber hätte ich das blöde Ding fallen lassen sollen, um dafür zu versuchen, mich mit beiden Händen festzuhalten!

Zu meinem Glück war mein Mann ausnahmsweise mal nicht auf Dienstreise und konnte mich von der Treppe aufs Sofa bugsieren und mit Schmerzmittel und Kühlpad versorgen. Nachdem der erste Schmerz nachließ, nahm ich mir die Zeit ausgiebig die hiesigen Teppichtreppen zu verfluchen. Das hatte ich in den letzten Monaten schon einige Male getan, sei es wegen des erhöhten Putzaufwandes im Vergleich zu Holztreppen oder weil auch die Kinder bereits öfters ausgerutscht waren. Bisher glücklicherweise nur aufwärts. Leider hatten wir damals bei der Haussuche schon gemerkt, dass es hier üblich ist, auch die Treppen mit Teppich zu versehen, sodass wir wohl oder übel ein Haus mit Teppichtreppe mieten mussten. Hinzu kommt, dass fast sämtliche Holzoberflächen mit weißem Lack angepinselt sind, was prinzipiell gut aussieht. Dummerweise zieht dieser Lack aber nicht nur magisch Staub und Dreck an (und lässt sich nicht einfach trocken abwischen / absaugen, sondern ist nur mit gewissenem Kraftaufwand nass abwischbar), sondern ist auch noch sehr rutschig. Zumindest für Haut, denn andere Materialien wie Plastik und Keramik kleben regelrecht daran fest, sobald sie länger als zwei Tage mit dem Lack in Berührung kamen. Eine tolle Kombination 🙄 Was für ein Glück, dass unser Treppengeländer genau mit diesem Lack gestrichen ist, sodass man sich bei einem Sturz nicht festhalten kann, dafür aber unsere Blumentöpfe auf den Fensterbrettern wahrscheinlich bis zum Sankt Nimmerleinstag festkleben werden. Aber was soll’s, ich schweife ab…

Am nächsten Tag erfuhren wir von unserem Hausarzt, dass die umliegenden Krankenhäuser gerade keine Kapazitäten zum Röntgen hätten, sodass wir zu einer Art Notfallpraxis, einem Immediate Care Center, geschickt wurden. Nach meinen schlechten Erfahrungen in Mexiko war ich äußerst gespannt, was mich hier erwarten würde und wurde positiv überrascht. Wir mussten keine 5 min warten, die Behandlungsräume und -geräte waren modern und die Ärzte kompetent und freundlich. Mit den Worten „Das ist zum Glück ein einfacher Bruch. Für einen Folgetermin wird sich der Orthopäde melden.“ wurde ich entlassen und ging davon aus, dass die Heilung mit der 4-wöchigen Benutzung meiner Krücken getan sei.

Wie versprochen meldete sich nach einigen Tagen der Orthopäde – noch so eine Sache, an die ich mich hier nicht richtig gewöhnen kann. Ständig muss man darauf warten (und hoffen), dass die Ärzte einen anrufen. Selbst anrufen ist nicht erwünscht – und bei dem kurzfristigen Termin eröffnete dieser mir, dass eine OP notwendig sei. In diesem Moment brach für mich eine Welt zusammen und ich in Tränen aus. Eine OP??? Irgendwo bewusst- und wehrlos rumzuliegen, während irgendjemand an mir rumschnippelt, gehörte für mich schon immer zu den Horrorszenarien schlechthin. Während der empathielose Orthopäde wild auf meinem schmerzenden Zeh rumdrückte, erzählte er mir schonungslos, was er während der OP machen und wo welche Drähte reinkommen würden. Spätestens bei „die Drähte gucken danach aus dem Zeh raus“ schaltete ich komplett ab und wollte einfach nur noch nach Hause. Die OP-Anmeldung schaffte ich nur, weil ich die ganze Zeit im Hinterkopf hatte, dass ich die OP jederzeit absagen könnte. Ich musste ja nicht zur OP gehen, sondern hätte dann nur mit den Konsequenzen leben müssen.

Wieder zuhause hätte ich meinen sonst so liebenswerten Mann auf den Mond schießen können. Mehrmals täglich. Er verstand meine Panik nicht und versuchte mich mit „Es ist doch nur ein kleiner Eingriff“-Phrasen (und „Hab dich nicht so“-Blicken) zu beruhigen. Immerhin wurde so meine Angst ab und zu durch Wut auf ihn abgelöst, aber besser wurde es nicht. Klar, im Nachhinein gesehen war meine Panik absolut irrational, doch seit wann sind Ängste rational? Wenigstens verstanden der Rest meiner Familie und meine Kinder mich und auch, wenn es meine Angst nicht linderte, so fühlte ich mich doch nicht mehr ganz so allein.

Ich weiss nicht, wie in Deutschland die OP-Vorbesprechungen ablaufen, doch das hiesige Vorgehen empfand ich als ziemlich seltsam. Vor der OP erhielt ich ca. 10 Anrufe des Krankenhauses, um
– mir jeweils den Termin mit der Uhrzeit mitzuteilen, später abzusagen, dann einen neuen Tag und später eine neue Uhrzeit auszumachen;
– nochmals persönliche Daten abzufragen (wofür hatte ich den Fragebogen bei der Anmeldung eigentlich ausgefüllt?);
– mich nochmals darauf hinzuweisen, dass ich ab Mitternacht vor der OP weder trinken noch essen dürfe;
– ich außer Tylenol keine Schmerzmittel nehmen dürfe;
und noch weitere Telefonate, deren Gesprächsinhalt ich schon wieder vergessen habe. Anstatt, dass eine Person mir all diese Dinge in einem Telefonat mitteilt, waren es viele verschiedene Leute, die jeweils voneinander nichts wussten, sodass sich Informationen teils doppelten oder nicht vorhanden war und mit unterschiedlichen Telefonnummern, die man natürlich auch nicht zurückrufen konnte, wenn man doch noch eine Frage hatte.

Am Tag der OP war ich ein nervliches Wrack und zu allem Überdruss wachte ich bereits morgens um 7 Uhr mit wahnsinnigem Durst auf, obwohl ich sonst eher der „Ups, es ist schon nachmittags und ich hab immer noch nichts getrunken“-Typ bin. Das zeigte mir mal wieder, wie sehr die Psyche ins körperliche Wohlbefinden mit reinspielen kann. Völlig unerwartet rief das Krankenhaus nochmals an, um mitzuteilen, dass die OP zwei Stunden nach vorne verschoben wurde und ich dementsprechend früher kommen solle. Inzwischen nervte diese ständige Terminschieberei nur noch, aber da ich bereits das Gefühl hatte zu verdursten, versuchte ich die frühere Uhrzeit positiv zu sehen.

Das Krankenhaus selbst machte einen soliden Eindruck, nicht total veraltet, aber auch nicht hypermodern. Vom Empfang ging es direkt zu einem Anmeldeschalter, der mich stark an Schalter in deutschen Ämtern erinnerte. Auch hier wurden noch mal persönliche Daten, Notfallkontakt usw. aufgenommen und ich bekam ein hübsches Armband, damit ich nicht verloren gehe. Zum Glück war mein Mann mit, um alle Fragen zu beantworten, denn so konnte ich mich von meiner aufkeimenden Panik ablenken, indem ich mir eingehend die Einrichtung des kleinen Schalters besah. Dabei entdeckte ich einen Zettel, auf dem man Hilfe zum Dolmetschen anfordern konnte. Ich finde es super, dass sie dort diese Möglichkeiten haben, denn ich stelle es mir ziemlich schlimm vor ausgerechnet beim Arzt bzw. im Krankenhaus nicht verstanden zu werden, da man dort normalerweise nicht ohne Grund ist. Interessanterweise gab es ausgerechnet für Deutsch keinen Dolmetscher und ich konnte mich einige Zeit mit der Warum-Frage beschäftigen. Vielleicht, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass alle Deutschen ausreichend gut Englisch sprechen? Das wäre zumindest eine positive Antwort. Ob sie realistisch ist? Wer weiss.

Allerlei bekannte und unbekannte Sprachen – nur kein Deutsch

Vom Anmeldeschalter ging es in den nächsten Wartebereich, wo wir 1,5 h warteten. Während mein Mann nebenbei arbeitete und quasi nonstop telefonierte, versuchte ich mich mal wieder in Ablenkung und blieb am Fernseher hängen. Klar, wenn schon in sämtlichen Restaurants TVs aufgestellt sind, dann erst recht im Krankenhaus. Obwohl ich der laufenden Sendung eine Stunde lang aufmerksam folgte, habe ich den Sinn bis zum Schluss nicht verstanden. Eine TV-Show, in der aufgereihte Männer mit nummerierten Geldkoffern von klatschenden und jubelnden Frauen angekreischt wurden, war anscheinend zu hoch für mich. Oder zu niedrig. Ähnlich wie den normalen Radioplappereien und -werbungen kann ich solchen US-Shows wenig abgewinnen und frage mich, ob sie die Leute generell für dumm verkaufen wollen oder ob ich bisher einfach nur die falschen Sendungen gehört / gesehen habe?

Eher altmodischer Wartebereich, dafür mit TV und großer Süßkramtheke.

Gegen 12.30 Uhr wurde ich aufgerufen und mein Mann weggeschickt. Ich folgte der Krankenschwester in einen Raum, der mich sehr an unser mexikanisches Krankenhaus erinnerte: ein großer Saal, in dem auf beiden Seiten mithilfe von Vorhängen ca. 20 einzelne „Zimmer“ abgetrennt wurden. Dort bekam ich einen hübschen Standard-OP-Kittel in Größe Zelt (sind die in Deutschland auch so groß?) und dann hieß es wieder warten. Dieses Mal aber nicht auf einem Stuhl, sondern im Bett. Nacheinander schneiten alle möglichen Krankenschwestern, -pfleger und Anästhesisten rein, die mich allesamt zuerst nach meinem Namen und danach, wo ich operiert werden sollte, fragten. Das war anscheinend Usus, um Verwechslungen zu vermeiden. Selbst der Chirurg kam noch persönlich, um mich selbiges zu fragen, und markierte den Zeh mit einem Kugelschreiber.

Mein kleiner ca. 2,5 m x 4 m abgetrennter Bereich im großen Saal.

Da die Krankenschwester merkte, dass ich ziemlich „nervös“ und mein Puls sehr hoch war, gab sie mir etwas zur Entspannung. Zumindest behauptete sie das, denn es hatte auch nach über einer Stunde weder wie versprochen einen entspannenden noch einen einschläfernden Effekt. Gegen 14.30 Uhr kamen wieder zwei Krankenschwestern und dann… erinnere ich mich an nichts mehr. Kurz vor 16 Uhr wachte ich im Aufwachraum auf, der ähnlich aufgebaut war wie der vorherige Saal. Schmerzen hatte ich keine und ich war einfach nur froh, dass ich die OP tatsächlich überstanden und sie wie angekündigt nur kurze Zeit gedauert hatte. Danach ging alles ganz schnell und obwohl ich noch total benebelt war, wurde ich keine 20 min später erst in einen Rollstuhl und dann in unser Auto verfrachtet. Im Nachhinein fragte ich mich, ob das in Deutschland erlaubt gewesen wäre, mich in diesem Zustand nach Hause zu schicken. Andererseits wundert es mich auch hier, wo doch insbesondere die USA dafür bekannt ist, dass man gegen alles und jeden klagen kann. Da hätte ich gedacht, dass sie sich mehr absichern und mich eher länger als kürzer im Krankenhaus lassen.

Zuhause angekommen waren vor allem die ersten Tage alles andere als schön. Natürlich kümmerte sich meine Familie rührend um mich und mein Mann sagte seine Dienstreisen ab, aber die Medikamente hatten es in sich. Ich, die sonst bei jeder Ibuprofen dreimal überlegt, ob die jetzt wirklich notwendig ist, bekam plötzlich in einer verhältnismäßig hohen Dosis Oxycodon, das zur Klasse der Opiode gehört. Das führte dazu, dass mir dauerschwindlig war, ich nicht einmal den Gang ins Bad alleine schaffte ohne umzukippen und ich ständig einschlief. Von den Konzentrationsproblemen und verwaschener Sprache (meine Eltern erzählten mir hinterher, dass ich bei den Telefonaten richtig betrunken klang – zumindest solange bis ich mitten beim Telefonieren einschlief.) mal ganz zu schweigen. Nach 5 Tagen setzte ich dieses Medikament eigenständig ab, zumal ich inzwischen wusste, dass gerade bei Oxycodon recht schnell eine Abhängigkeit entsteht. Darauf konnte ich verzichten!

Dadurch musste ich in den folgenden Tagen zwar öfters die Zähne zusammenbeißen, aber der klare Kopf war es mir allemal wert. Ehrlich gesagt finde ich es ziemlich fahrlässig von den Ärzten, dass mir die Medikamente ohne weitere Erklärung einfach in die Hand gedrückt wurden. Ich schreibe Medikamente, denn ja, es waren mehrere. Insgesamt 5, die ich regelmäßig gegen Schmerzen, Muskelentspannung und gegen die Nebenwirkungen des Oxycodons nehmen sollte, die aber wieder andere Nebenwirkungen hervorgerufen hätten. Das erinnerte mich abermals an Mexiko, wo bei der Medikation auch gerne mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Da lob ich mir doch das deutsche Gesundheitssystem, das, wenn es auch nicht perfekt ist, mir zumindest immer noch zusätzliche Informationen gegeben hat.

Mittlerweile geht es mir wieder „gut“ und die OP ist bereits 4 Wochen her. Ich habe mich inzwischen an den Anblick der rausschauenden Drähte gewöhnt, auch wenn ich den Verbandswechsel nach wie vor lieber meinem Mann überlasse, da ich mir das ungern anschaue. Ich habe festgestellt, dass Duschen im Sitzen mit aus der Dusche ragendem Bein sowohl unbequem als auch kühl und Laufen auf dem Hacken vor allem für das Sprunggelenk eine anstrengende Angelegenheit ist. Denn belasten darf ich den Zeh erst, wenn die Drähte in knapp 2 Wochen gezogen werden. Diesem Termin schaue ich sowohl mit Freude als auch mit Bangen entgegen, da mir der Orthopäde beim letzten Mal offenbart hat, dass die Drähte ohne Betäubung gezogen werden. Hoffentlich tut das nicht allzu sehr weh! Aber immerhin darf ich danach wieder alles machen und dann heißt es endlich wieder Hundepark und ausgedehnte Spaziergänge durch Wald und Wiese mit den Hunden, die in den letzten Wochen auch enorm zurückstecken mussten. Und meine Kleine wartet sehnsüchtig darauf, dass ich ihr Rad schlagen beibringe, wobei das wohl noch ein bisschen länger wird warten müssen…

Wie ich meine täglichen Spaziergänge in den letzten Wochen vermisst habe!

2 Kommentare zu „Beim Arzt in den USA

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