Der mexikanische Umgang mit der Pandemie

Jetzt sind es schon 8,5 Monate, die wir in Abgeschiedenheit leben. Die ersten Monate haben wir uns komplett isoliert, doch seit Mitte August sehen wir hin und wieder ausgewählte Freunde. Nur draußen, nur mit Mundschutz, aber immerhin wieder physisch und nicht nur durch den Bildschirm. Doch was hat zu diesem Sinneswandel beigetragen?

Erst einmal muss ich sagen, dass ich das Verhalten der Mexikaner wirklich lobenswert finde. Da viele Leute, und damit meine ich wirklich viele, in Mexiko von der Hand in den Mund leben und zum Beispiel auf ihre Verkäufe an der Straße angewiesen sind, ist es seitens der Regierung schwierig einen richtigen Lockdown, wie er teils in anderen Ländern gemacht wurde, umzusetzen. Würden sie eine Ausgangssperre verhängen, würden viele Leute buchstäblich verhungern. Also wird die Verantwortung inoffiziell in die Hände der Bevölkerung gelegt und das klappt erstaunlich gut, besser als z.B. in Europa. Das liegt vermutlich unter anderem daran, dass hier die meisten Leute keine oder nur eine sehr schlechte Krankenversicherung haben.

Mit dem Wissen auf sich allein gestellt zu sein, versuchen sich die Meisten so gut es geht zu schützen. Mit Mundschutz und Visier, dem Desinfizieren von Geld und Waren und Abstand. Viel Abstand. Unser Ausflug nach Europa hat mir gezeigt, dass es einen Unterschied macht, ob man ein gutes Gesundheitssystem im Rücken hat oder nicht. Die überfüllten Einkaufszentren und Restaurants, in denen nicht mal ansatzweise Abstand und nur widerwillig Mundschutz getragen wurde, sprachen Bände.

Von dieser Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste-Einstellung sind die Mexikaner weit entfernt, weswegen wir auch wieder mehr unterwegs sind und uns auch zu unserer Yucatán-Rundreise durchgerungen haben. Nun ist die vollkommen berechtigte Frage warum hier trotzdem die Zahlen immer weiter steigen, wenn sich alle so vorbildlich verhalten und z.B. die Kellner in den Restaurants Mundschutz, Visier und Handschuhe tragen?

Der erste Punkt ist, dass sich natürlich nicht alle vorbildlich verhalten. Auch hier gibt es Leute- und zwar leider auch in unserer direkten Nachbarschaft -, die nicht an den Virus glauben (wollen), denen ihre Freiheit und das Feiern mit Freunden wichtiger ist oder die sehr gut abgesichert sind und sich eine Erkrankung „leisten“ können.

Der zweite, nicht zu verachtende Punkt ist, dass es in Mexiko viele Leute mit Vorerkrankungen gibt. Wusstet ihr, dass Mexiko der weltweit größte Coca-Cola-Konsument ist? Hinzu kommen andere Süßgetränke, Chips und Fastfood. Da ist es wenig verwunderlich, dass hier viele mit Diabetes und Übergewicht zu kämpfen haben, was bekanntermaßen ungünstig in Verbindung mit einer Corona-Infektion ist.

Der dritte Punkt ist die Armut. Gerade die arme Bevölkerung ist eigentlich besonders vorsichtig, aber ihnen bleibt z.B. nichts anderes übrig als den öffentlichen Busverkehr zu nutzen, um zur Arbeit zu gelangen und das ist einer der Infektions-Hotspots von Mexiko. Diese sind leider nach wie vor überfüllt und da hilft auch der beste Mundschutz nichts, den diese Bevölkerungsschicht sowieso nicht zur Verfügung hat.

Der vierte Punkt sind die beengten Wohnverhältnisse. Auch hier ist wieder die arme Bevölkerungsschicht besonders betroffen, denn nicht selten wohnen 10 oder mehr Menschen gemeinsam in 2 kleinen Zimmern ohne fließend Wasser und / oder Strom. Ist einer von ihnen infiziert, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass alle anderen ebenfalls angesteckt werden, weil es schlicht nicht möglich ist Abstand zu halten.

Leider beginnt hier der traurige Teufelskreis: Gerade die untere Bevölkerungsschicht ist bei selbst vorbildlichem Verhalten dem Virus fast schutzlos ausgeliefert, da sie gezwungen sind arbeiten zu müssen, um sich und ihre (Groß-)Familie ernähren zu können. Infizieren sie sich, was fast unvermeidlich ist, müssen sie auf ihr gutes Immunsystem – doch woher soll das bei schlechter Ernährung und unhygienischen Wohnverhältnissen kommen? – hoffen, denn eine medizinische Versorgung können sie sich kaum oder nicht leisten.

Unsere Kleine darf ihre Freunde nur draußen mit Mundschutz und auf dem Fahrrad – wodurch automatisch ein gewisser Abstand gegeben ist – treffen. Früher wären Treffen mit solchen Auflagen deprimierend gewesen. Jetzt sind die Kinder froh, dass sie sich überhaupt sehen dürfen und nehmen alle Maßnahmen klaglos hin.

Während unserer Yucatán-Rundreise haben wir leider wieder deutlich den Unterschied zwischen Mexikanern und Ausländern gesehen. Erstere haben sich ziemlich vorbildlich an Abstands- und Mundschutzregeln gehalten, während sich die Anderen vor allem um ihren Spaß und ihre Erholung gekümmert haben. Diese Einstellung finde ich sehr schade, denn so werden auch dort die Zahlen wieder rapide ansteigen und vieles geschlossen werden müssen und das, obwohl dort mit ausgezeichneten Hygienekonzepten gearbeitet wird. Da diese Region auf Touristen angewiesen ist, legen sie sich nämlich besonders ins Zeug.

Nur leider funktioniert auch das beste Konzept nicht, wenn sich die Touristen nicht daran halten. Auch hier kann man nur an das Gewissen und den gesunden Menschenverstand appellieren: Seid nicht egozentrisch und schützt auch andere! Denn diese Touristen kehren meist in ein Land mit gutem Gesundheitssystem und sicherem Job zurück, während die Mexikaner das rücksichtslose Verhalten in Form von Arbeitslosigkeit und Infizierung mit schlechter medizinischen Versorgung ausbaden müssen. Da kann man nur hoffen, dass ein Umdenken stattfindet bei gleichzeitiger Lösungsfindung aus der Pandemie, denn Länder wie Mexiko trifft eine solche ungleich härter als europäische Staaten und das, obwohl z.B. die deutsche Wirtschaft ebenfalls schlimm betroffen ist.

P.S. Ich schreibe „der mexikanische Umgang“ und „die Mexikaner“, wobei ich natürlich nicht für 125 Millionen Einwohner sprechen kann, sondern damit diejenigen meine, die ich in meiner Umgebung oder während unserer Reise gesehen habe oder was mir Freunde und mein Mann berichten. Da kann ich guten Gewissens sagen, dass sich ca. 90 % sehr vorbildlich verhalten.

P.P.S. Im Titelbild ist ein fröhlich bunter Mundschmutz mit typisch mexikanischem Muster zu sehen. Der Baumwollstoff ist zwar etwas dicker, aber als wir im kalten Deutschland waren, empfanden wir das sogar als angenehm.

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