Kinder erlernen eine neue Sprache im Vorbeigehen… oder?!

Das ist wohl eines der bekanntesten Klischees rund um das Thema Auswandern. Es werden viele Hürden und Probleme gesehen, aber das Erlernen der neuen Sprache im Kindesalter zählt zu den geringsten, denn wie oft hat man schon gehört oder gelesen, dass Kinder nach spätestens 3 Monaten die Fremdsprache ganz gut drauf hätten. Doch stimmt das überhaupt?

Erlernen einer neuen Sprache im Kindesalter

Pauschal lässt sich die obige Aussage weder dementieren noch bestätigen, denn es fließen wie so oft viele verschiedene Faktoren mit hinein:

Sprache des Umfeldes: Das mag im ersten Moment komisch klingen, denn im Ausland sollte die Sprache des Umfeldes naturgemäß identisch sein mit der des Landes, doch so einfach ist es manchmal nicht. Insbesondere in auswanderreichen Regionen bilden sich vielerorts sogenannte Communities oder Viertel, in denen vorrangig in der eigenen Muttersprachen kommuniziert wird. Wächst das Kind in einer solchen Umgebung auf, ist es schwierig(er) die neue Sprache zu erlernen.

Alter des Kindes: In jungen Jahren, ca. 0 – 9, erlernen Kinder die Sprache eher intuitiv. Das heißt, es wird auf (langweiliges) Vokabeln lernen verzichtet und es werden sich neue Wörter durch spielen und interagieren mit anderen Kindern erschlossen. Fehlen diese sozialen Kontakte, ist es für junge Kinder schwierig sich die neue Sprache zu erschließen. Ab 10 Jahren werden immer häufiger Vokabeln durch Wörterbücher, Sprachlernsysteme usw. erlernt, die im späteren Verlauf angewendet und gefestigt werden können. Fehlen verschiedene Situationen oder Personen zum Anwenden der neu erlernten Wörter, geraten diese wieder in Vergessenheit oder müssen durch mühsames Wiederholen gefestigt werden.

Sprachniveau der Eltern: Besitzen die Eltern bereits gewisse Sprachkenntnisse, können sie ihrem Nachwuchs beim Erlernen der Sprache helfen und bei Fragen unterstützen.

Schule: Je nachdem in welcher Sprache und in welcher Art und Weise unterrichtet wird, kann die Schule die Sprachentwicklung des Kindes vorantreiben oder ausbremsen. In vielen Ländern gibt es heutzutage internationale oder sogar rein – in unserem Fall – deutschsprachige Schulen. In letzteren werden bis auf die Fremdsprachen nahezu alle Fächer auf Deutsch unterrichtet, das heißt, auch das tägliche Sprachumfeld des Kindes ist in seiner üblichen Muttersprache. In ersteren variiert sowohl das Konzept als auch die zahlenmäßige Präsenz anderer Ausländer.

Charakter des Kindes: Ist ein Kind offen für Neues und extrovertiert, hat keine Angst Fehler zu machen und redet gerne, wachsen die neuen Sprachkenntnisse täglich. Ist es jedoch eher schüchtern, introvertiert und redet erst, wenn es die Sprache perfekt beherrscht, dauert es vermutlich länger bis die neue Sprache erlernt ist.

Hinzu kommen natürlich noch viele weitere Faktoren wie zum Beispiel das vorherige Sprachniveau oder das Vorhandensein verschiedener Sprachlehrmittel. Welche Erfahrungen haben wir nun gemacht? Hier sind zwei Erfahrungsberichte, einmal aus meiner Sicht als Kind und einmal als Mutter.

Als Teenager ging ich 4 Jahre in Frankreich zur Schule und machte dort mein Abitur. Da ich vorher bereits einige Jahre Französischunterricht in Deutschland hatte, waren gewisse Grundkenntnisse vorhanden, allerdings in sehr geringem Ausmaß. Denn erstens fehlte die tägliche Anwendung und zweitens der Spaß am Lernen von – in meinen damaligen Augen sinnlosen – Vokabeln. Im Rahmen eines Austauschprogrammes war ich die ersten Monate in einer Gastfamilie und auf einer normalen französischen Schule. In dieser Zeit, in der ich Tag und Nacht von der fremden Sprache umgeben war, lernte ich am schnellsten Französisch.

Nach ein paar Monaten zogen meine Eltern mit meinen Geschwistern ebenfalls nach Frankreich und wir gingen alle zunächst auf normale französische Schulen, in deren Einzugsgebiet wir wohnten. Zwar redeten wir zuhause auf Deutsch, aber in der Schule waren wir nur von Franzosen umgeben, sodass wir dort gute Fortschritte in der neuen Sprache machten, auch wenn mein Lerntempo rapide abnahm. Für meine kleinsten Geschwister, die der Sprache nicht mächtig waren, war dies natürlich am schwierigsten, aber trotz allem fanden sie Freunde und konnten sich mit Händen und Füßen verständigen.

Zum neuen Schuljahr wechselten wir auf das Lycée International in Saint-Germain-en-Laye, eine internationale Schule mit einem wie ich finde sehr guten Konzept. Die Klassen, von denen es pro Jahrgang sehr viele gab, waren von den Nationalitäten her sehr gut durchmischt, sodass man nicht mit allzu vielen Landsmännern in einer Klasse war. Der gesamte Unterricht fand auf Französisch statt und zusätzlich gab es 8 h pro Woche Unterricht in der jeweiligen Muttersprache. Dies gewährleistete, dass die Kinder trotz der vielen Ausländer nach einiger Zeit perfekt französisch sprachen.

Für Neuankömmlinge gab es außerdem eine Spezialklasse, in denen die fachlichen Themen nur in abgespeckter Form durchgenommen wurden, aber dafür ca. 15 h pro Woche dem Erlernen der französischen Sprache gewidmet wurden. Auf diese Art und Weise lernten alle Kinder innerhalb eines Jahres die Sprache auf mindestens B2-Niveau. Diese Methode funktionierte sehr gut, hatte jedoch wenig mit dem „Erlernen im Vorbeigehen“ zu tun, sondern mit hammerharter Arbeit. In diesem Fall waren die oben genannten Faktoren Schule und Sprache des Umfeldes entscheidend.

In Mexiko waren wir die ersten Monate ebenfalls an einer selbst ernannten internationalen Schule. Ich dachte zunächst, dass das Konzept ungefähr mit dem in Frankreich übereinstimmen würde, doch weit gefehlt. Meine Kinder, wovon 2 weder spanisch noch englisch sprachen, wurden entweder auf Englisch angesprochen oder neben deutsche Kinder gesetzt, die ihnen alles auf Deutsch erklären sollten. Da der Unterricht zusätzlich viel auf Gruppenarbeit basierte, fiel ein weiterer spanischer Aspekt – der Frontalunterricht – weg. Somit war weder die Schule voranbringend noch die Sprache des Umfeldes auf Spanisch.

Da Kinder verständlicherweise gerne den Weg des einfachsten Widerstandes gehen, freundeten sich meine Kinder fast ausschließlich mit den zahlreich vorhandenen deutschen Kindern an, sodass es auch hier wenig Möglichkeiten des Spanischlernens gab. Nach 8 bs 10 Monaten, in denen die Kinder kaum etwas gelernt hatten, nahmen wir sie von der internationalen Schule herunter und verzichteten somit auch auf den Deutschunterricht, der der einzige Vorteil dieser Schule war.

An der neuen Schule waren sie die einzigen Deutschen und lernten tatsächlich innerhalb weniger Monate Spanisch, nicht zuletzt, weil die Schule sie dabei unterstützte und sie endlich die vorher fehlenden spanischsprachigen Kontakte hatten.

Fazit

Kinder – und auch Erwachsene – können eine Sprache sehr schnell lernen, insofern das Umfeld stimmt. Dann ist es tatsächlich möglich innerhalb von 4-6 Monaten die neue Sprache so gut sprechen zu können, dass man über Alltagsthemen reden und dem Unterricht mühelos folgen kann. Je mehr Raum die Muttersprache jedoch am Tag einnimmt, desto langsamer geht es voran. Dann kann man 5 Jahre in dem Land leben und trotzdem nicht mehr als „Guten Tag“ und „Wie geht’s?“ sagen können. Genau so einen Fall, der 5 Jahre lang eine deutsche Schule im Ausland besuchte, kannte ich in Frankreich.

Das Nicht-Verlernen einer neuen Sprache

Nun denkt man, dass man mit dem Erlernen der Sprache alle Hürden genommen hat, doch ganz so ist es nicht. Denn unser Gehirn tickt in (fast) allen Bereichen gleich: Ungenutztes Wissen wird gelöscht. Natürlich nicht plötzlich und alles auf einmal, aber nach und nach und so ist es auch mit Sprachen. Wenn man also seinen mühsam erlernten Wortschatz nicht wieder verlieren möchte, ist es am Besten, wenn man ausländische Kontakte hat, mit denen man regelmäßig kommuniziert.

Da dies nicht immer möglich ist, sollte man wenigstens auf der Sprache regelmäßige Bücher lesen, Filme schauen oder sich einen sogenannten Tandempartner suchen. Hierfür gibt es in den meisten Großstädten Plattformen, in denen man fündig wird. Ich selbst hatte hier vor der Pandemie einen Tandempartner: sie war Mexikanerin und wollte ihr Deutsch verbessern und ich wollte mehr Spanisch lernen. Wir haben uns einmal pro Woche verabredet und zuerst eine halbe Stunde in Spanisch geredet und danach in Deutsch. Das klappte wunderbar.

Auch online gibt es heutzutage viele Möglichkeiten, falls man aus persönlichen, zeitlichen oder anderen Gründen keinen realen Tandempartner möchte. Wichtig ist eigentlich nur, dass man selbst aktiv Sätze formuliert, um das Gelernte nicht zu vergessen. Das ist natürlich alles mit Arbeit verbunden, aber es lohnt sich!

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