Nachdem wir ausgerechnet in den Monaten vor unserem Umzug mit einer ungewöhnlich großen Häufung von Krankheiten und Unfälllen bei den Kindern gesegnet waren – von Magen-Darm über Erkältungen und einem verstauchten Fuß bis hin zu einem gebrochenen Handgelenk war alles dabei – hatte ich die Hoffnung, dass wir in nächster Zeit verschont bleiben würden. Dem war leider nicht so und so standen wir bereits Mitte Februar in einer mexikanischen Arztpraxis.
Alles fing damit an, dass der Große am Wochenende über Kopf- und Gliederschmerzen, Husten, Halsweh und Fieber klagte. Zuerst dachte ich noch an eine Erkältung, nachdem es aber am Montag eher schlimmer als besser war, gingen wir sicherheitshalber zum Arzt. Zum Glück kenne ich hier bereits einige andere deutsche Familien, sodass sie mir einen englischsprachigen Kinderarzt empfehlen konnten. Mein Mann war übrigens – wie sollte es anders sein? – zu der Zeit nicht da, sondern auf Dienstreise.
Nach einem Telefonat auf Spanisch mit der Empfangsdame – danke duolingo! -, gurkte ich mit allen drei Kindern zur Arztpraxis. Der Gebäudekomplex sah ziemlich modern aus, der Empfang ebenfalls. Dort saßen 5 Damen wie bei einem deutschen Behördenschalter dicht nebeneinander gedrängt und man konnte sich eine Dame aussuchen. Glaube ich zumindest. Ich hatte Glück mit meiner, da sie sogar ein bisschen Englisch sprach. Sie meinte, dass wir im Wartebereich Platz nehmen sollen und wollte auch keine Krankenkassenkarte oder ähnliches sehen, was mich ziemlich verwunderte.
Im Wartebereich saßen wir auf großen Ledersofas und während der Große immer wieder jammernd einschlief, durften die Kleinen auf meinem Handy spielen. Einen Spielebereich, wie wir in aus Kinderarztpraxen kennen, gab es nicht. In der Zwischenzeit schaute ich mich in der Praxis um und stellte bald fest, dass es viele verschiedene Arztzimmer gab, bei denen die jeweilige Spezialisierung geschrieben stand: Frauenarzt, Gastrologe, Kinderarzt…. Demzufolge gab es auch nur einen Kinderarzt mit einem Zimmer, was die lange Wartezeit erklärte.
Die einzelnen Arztzimmer sahen aus wie kleine Container, die scheinbar willkürlich in dem großen Wartebereich aufgestellt worden waren. Auch interessant zu beobachten war, dass den Schwangeren direkt im Wartezimmer Blutdruck usw. gemessen wurde. Das wäre mir persönlich in Anwesenheit so vieler anderer Patienten ziemlich unangenehm gewesen. Der Wartebereich war auch nicht unterteilt für die verschiedenen Patienten, wodurch Kranke wie mein Großer direkt neben Schwangeren, die lediglich zur Routineuntersuchung wollten, saßen.
Die eine Stunde, die wir warten mussten, zog sich in Anbetracht der Verfassung des Großen wie Kaugummi. Im Arztzimmer angekommen, gab es zunächst 5 min Smalltalk mit dem Arzt. Wie es denn in Deutschland so sei und wie wir Mexiko fänden? Ob wir uns schon gut eingelebt hätten? usw. Prinzipiell finde ich es gut, wenn sich ein Arzt Zeit nimmt, aber in dem Moment hätte ich mir gewünscht, dass der Arzt dieses typisch mexikanische Verhalten unterlässt und sich erstmal um mein Kind kümmert. Wenigstens sprach der Arzt aber Englisch, denn auf Arztbesuche konnte mich duolingo nicht ausreichend vorbereiten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde der Große endlich untersucht. Mit einem Stirnfieberthermometer, was eigentlich immer ungenau ist, maß er zunächst 38,6 °C an der Stirn. Da ich zuhause knapp 40 °C gemessen hatte, insistierte ich, dass das Ergebnis nicht stimmen könne bzw. nicht aussagekräftig sei. Zur Überprüfung maß der Arzt daraufhin noch einmal mit demselben Stirnthermometer auf der Brust und im unteren Bauchbereich Fieber: 40,3 °C. „Oh yes, as you told me“….
Ich meine, ich bin kein Arzt, aber diese Art des Fiebermessens kam mir doch reichlich seltsam vor. Nach weiteren Untersuchungen diagnostizierte der Arzt ihm eine bakterielle Bronchitis. Da bei uns in der Schule zu der Zeit Influenza umging, fragte ich, ob der Große dies auch haben könnte. „Yes, that’s possible“. Tolle Antwort, die mir nicht wirklich weiterhalf. Der Arzt meinte, er müsse sich jedoch zuerst um den Husten kümmern.
Der Arzt brauchte dann 10 min um im 2-Fingertippsystem 5 (!) verschiedene Medikamente aufzuschreiben, die ich allesamt nicht kannte. Mit der Liste sollte ich in die nächste Apotheke fahren, aber zuerst müsse er dem Großen noch eine Antibiotikumsspritze verpassen. In dem Moment wünschte ich mir tatsächlich wieder in Deutschland zu sein, wo ich die Sprache sprach und die gängigen Praktiken kannte, oder dass wenigstens mein Mann an meiner Seite wäre, damit ich nicht alles alleine entscheiden müsse.
Zum Abschied wurden wir alle umarmt, auch der Große, und dann wurde ohne Händedesinfektion der nächste Patient ins Zimmer gebeten. Ich hoffe, dass wenigstens die Liege nach (und vor allem vor!) uns gesäubert wurde.
In den nächsten 2 Tagen fuhren wir jeweils einmal ins Krankenhaus, um die weiteren Antibiotikumspritzen für den Großen abzuholen. Unter der Woche sollte er zusätzlich alle 6-8 Stunden die 5 Medikamente nehmen. Zum Glück ist mein Schwiegervater Arzt und er verriet uns, dass die verschriebenen Medikamente eine Art Allergiepille, Hustenstiller, ein weiteres Antibiotikum, eine Art Aspirin und etwas zum Inhalieren seien. Einige Medikamente davon sind in Europa aufgrund ihrer starken Leberschädigung verboten, weswegen wir uns lediglich auf das Inhalieren beschränkten.
Der Besuch im Krankenhaus war ähnlich wie der in der Arztpraxis: Der Große bekam ohne vorherige Säuberung der Hände oder Liege seine Spritze – ich hoffte nur noch, dass die Spritze wirklich neu war – und der Kleinen, der es inzwischen auch schlecht ging, weswegen ich auf einer Untersuchung bestand, wurde Influenza Typ B diagnostiziert. Somit hatte der Große das wie erwartet also auch. Trotzdem wurden wir wieder zum Abschied umarmt, die Kleine auf die Stirn geküsst und ohne weitere Desinfektion ging der Arzt zum nächsten Patienten und umarmte auch diesen.
Mich wunderte es nun nicht mehr, wieso die Influenza in Mexiko kaum in den Griff zu bekommen ist und unsere halbe Schule infiziert war. Bei den hygienischen Standards war es eher verwunderlich, dass nur so wenige krank waren.
Während es dem Großen nach drei Tagen langsam wieder besser ging, erwischte mich die Influenza natürlich auch noch. Das war für mich der absolute Supergau: Alleine mit drei Kindern in einem fremden Land, zwei davon krank, der Mann irgendwo auf Dienstreise, keine Freunde oder Familie zum Unterstützen vor Ort und den Weg zum Arzt konnte ich mir auch klemmen. So hatte ich mir den Beginn meiner Auslandszeit wahrlich nicht vorgestellt. Aber auch die Zeit ging vorüber. Irgendwann kam mein Mann wieder, pflegte uns alle gesund und der Mittlere, der zum Glück verschont bliebt, kümmerte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten ebenfalls um uns.
Nun hoffe ich, dass wir nicht so schnell wieder zum Arzt müssen. Diese eine Erfahrung reicht mir vollkommen aus.
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